Genesungsfördernde Kommunikation im Rettungsdienst

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KOMMUNIKATION IM RETTUNGSDIENST, PATIENT JOURNEY, VALUE BASED HEALTH CARE, PLACEBO UND NOCEBO, PATIENTENORIENTIERTE KOMMUNIKATION, GENESUNGSFÖRDERNDE KOMMUNIKATION, NOTFALLMEDIZIN KOMMUNIKATION, PATIENTENSICHERHEIT, BEHANDLUNGSQUALITÄT

von Dr. Peter KrummenacherGründer und Geschäftsführer von brainability 

Genesungsfördernde Kommunikation im Rettungsdienst

Zu einer optimalen Versorgung von Menschen in einer Notfallsituation gehört auch die «Sprechende Medizin», d.h. die Qualität der Kommunikation und die vertrauensvolle, empathische Behandler-Patienten Beziehung. Diese unterstützt körpereigene Selbstheilungskräfte und trägt massgeblich zur besseren Genesungsrate, kürzeren Krankenhausverweildauer und damit zum Gesamtbehandlungserfolg bei. Mit einer hypnosystemischen Patient Journey wird die Sicht des Patienten gesamtheitlich einbezogen und die genesungsfördernde Kommunikation kann optimal auf dessen Bedürfnisse abgestimmt werden.

Über welche Fähigkeiten muss ein/e Rettungssanitäter/In neben dem präklinischen Fachwissen noch verfügen?

Primär steht die spezialisierte medizinische und fachliche Ausbildung im Vordergrund. Selbstredend die Einsatzerfahrung und zeitgemässes technisches-medizinisches Einsatzmaterial. Zu einer optimalen Versorgung von Menschen in einer Notfallsituation gehört aber auch die «Sprechende Medizin», d.h. die Qualität der Kommunikation und die vertrauensvolle, empathische Behandler-Patienten Beziehung.
Der Kardiologe und Friedensnobelpreisträger B. Lown hat in seinem Buch «Die verlorene Kunst des Heilens“ 2004 geschrieben: „Worte können – wie ein zweischneidiges Schwert – sowohl tief verletzen als auch heilen».
In Extremsituationen wie z.B. bei einem Rettungseinsatz ist die Suggestibilität deutlich erhöht und kann klinisch nutzbar gemacht werden. Ein eindrückliches praktisches Beispiel dafür ist das 1976 durchgeführte Kansas Experiment von E. Wright. Dabei wurden Rettungssanitäter/Innen in folgender Vorgehensweise trainiert: (1) den Patienten möglichst rasch vom Unfallort und aus dem Gedränge wegzubringen und abzuschirmen, (2) einen Text mit positiven Suggestionen wiederholt ganz ruhig vorlesen – und zwar unabhängig davon, ob der Patient die Augen geschlossen hatte oder nicht, d.h. evtl. bewusstlos ist, und (3) keine negative (z.B. «hoffentlich schaffen wir’s noch bis zur Notfallaufnahme») oder belanglose Konversation zu betreiben. Im Vergleich zur Kontrollgruppe erreichten das Krankenhaus mehr Patienten lebend. Zudem war die Genesungsrate schneller und die Krankenhausverweildauer deutlich kürzer.

Hoffnung auf Genesung, positive Wirksamkeitserwartungen sowie Empathie und Vertrauen reduzieren Angst, Stress und Schmerzen und bestimmen entscheidend darüber mit, wie gut es dem Patienten gelingt, seine körpereigenen Selbstheilungskräfte zu aktivieren.  Die faszinierenden Resultate der neuropsychologischen Placebo-Forschung zeigen, dass solche positiven Effekte der Behandler-Patienten Kommunikation tatsächlich biologisch messbar sind. Sie stellen aktive und messbare psychoneurobiologische Prozesse des Gehirns dar, die als solche positive (Placebo) bzw. negative (Nocebo) Einflüsse auf den Heilungsprozess haben. Sie wirken bei jeder Behandlung mit, verstärken die Wirkung von Medikamenten und machen einen erheblichen Anteil des Behandlungserfolgs aus.

Umgekehrt können hochwirksame Medikamente wie ein Opioidagonist (z.B. Remifentanil) ihre Wirksamkeit allein durch die negative und unbedachte Wortwahl des Behandlers verlieren (Nocebo-Effekt). Negative Erfahrungen und Erwartungen, unbedachte Äußerungen des Behandlers wie zum Beispiel eine leichtfertig ausgesprochene Verdachtsdiagnose, ein unsicher wirkender oder von seiner Behandlung nicht überzeugter Behandler, eingebildete Risiken oder Angst vor Nebenwirkungen können die Wirkung von Medikamenten nicht nur massiv abschwächen bzw. ganz verhindern, sondern dem Patienten sogar schaden. Nocebo-Effekte sind für einen erheblichen Teil der Nebenwirkungen bei medizinischen Behandlungen verantwortlich und werden insbesondere bei der medizinischen Risikoaufklärung ausgelöst.
Aus diesen Gründen spielt die Placebo und Nocebo-Kompetenz des Behandlers eine wichtige Rolle.

Resilienz und mentale Stärke

Wer anderen hilft muss sich auch gut selber helfen können. Im Umgang mit den täglichen Extremerfahrungen sowie als präventiver Schutz vor möglichen traumatischen Erfahrungen ist eine gute Self-Care und Supervision unabdingbar. Training von mentaler Stärke und Resilienz – die Stärkung der psychischen Widerstandsfähigkeit – sind zentrale Fähigkeiten.

Organisationale Rahmenbedingungen

Ideale organisationale Rahmenbedingungen dazu sind ein unterstützendes, stärkenorientiertes Team sowie eine Unternehmenskultur, die Wissen teilt und Kooperation, psychologische Sicherheit sowie personenzentrierten Medizin aktiv fördert.

Praktische Anregungen

  • Situationsangepasste, bedürfnisgerechte Kommunikation; Worte achtsam wählen mit Fokus auf Begleitung, Wohlbefinden, Information, Kontrolle, Sicherheit und Genesung.
  • Perspektive des Patienten einnehmen, um Negativsuggestionen zu vermeiden bzw. ggf. zu neutralisieren.
  • Feedback in Bezug auf Verständlichkeit und Vorgehensweise erfragen.
  • Jeden Patienten als wach behandeln – selbst dann, wenn er die Augen geschlossen hat.
  • Kommunikation (verbal und nonverbal) aufbauen, aufrechterhalten sowie Versicherung von Begleitung und Sicherheit; ggf. Positivsuggestionen nutzen.
  • Risiken sollten zusammen mit Positivem genannt werden, etwa mit den Vorteilen und Nutzen der Behandlung oder mit Aspekten der Vorbeugung, Überwachung und möglichen Behandlung der Nebenwirkung.
  • Eine vertrauensvolle, empathische Beziehung erhöht nicht nur die Compliance, sondern schützt auch vor Aufklärungsschäden.
  • Erfahrungen und Erwartungen des Patienten erfragen; zur Ressourcenaktivierung bzw. Neutralisierung von Nocebo-Effekten.
  • Optimierung der Art der Aufklärung, da ein beachtlicher Teil der Nebenwirkungen von Behandlungen der Aufklärung zuzuschreiben ist.
  • Eine gesamtheitliche Patient Journey hilft, die genesungsfördernde Kommunikation optimal auf die  Bedürfnisse des Patienten abzustimmen.

Dieser Text wurde in leicht  abgeänderter Form 2021 im Jahresbericht 2020 des Rettungsdienst der Spital STS AG veröffentlicht.

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Vertiefende Literatur
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About Author

Dr. sc. ETH Peter Krummenacher | Systemischer Berater & Organisationsentwickler, Coach für Neuorientierung, Potenzialentfaltung & Leadership, Neurowissenschaftler, Innovateur, Talententwickler, Placebo-Nocebo & Mind-Body Forscher | Keynote Speaker | www. brainability.ch

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