Gedanken über das Implizite in Unternehmen

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von Dr. phil. Franziska Hofer
Co-Founderin von brainability

Die verborgene Kraft des Unbewussten in Ihrer Organisation

Zur Bedeutung des Impliziten in Organisationen, eine Spurensuche

Wir alle kennen das: Ein Leitbild gibt vor, wofür das Unternehmen steht – auf Hochglanz-Papier von Kommunikationsprofis gestaltet und voller verheissungsvoller Begriffe! Kundenorientierung, Fairness, Offenheit, Fürsorge, Work-Life Balance, Mitarbeiterorientierung oder nachhaltige Performance vermitteln ein Firmenimage, das sich beim Vergleich mit dem Unternehmensalltag häufig als (Selbst-)Täuschung entlarvt. Das Mittagsgespräch beim Kantinenessen oder ein kurzer Blick auf Kununu offenbaren schnell, dass zwischen explizit kommuniziertem Ideal und erlebter Realität eine unübersehbare Differenz besteht.

Schaden Leitbilder dem Firmenimage also mehr als sie nützen? Natürlich nicht…! Allerdings lohnt es sich genauer hinzusehen und darüber nachzudenken, wie solche Unterschiede zwischen Leitbild und erlebter Realität in Organisationen zustande kommen.

Woran erkennen Sie die selbst erschaffenen Realitäten in Organisationen?

Betrachten wir einmal das Thema Kommunikation: im Leitbild wird grosser Wert darauf gelegt, dass im Unternehmen offen und transparent kommuniziert und Kooperation gefördert wird. Sie stellen allerdings bei einem kurzen Rundgang durch das Bürogebäude fest, dass alle Bürotüren geschlossen sind. Was gilt denn nun hier? Genau, gelebt wird in diesem Unternehmen wohl eher Privatsphäre und Rückzug und daran kann auch eine ansprechende Hochglanzbroschüre nichts ändern. Sie führt wohl eher dazu, dass Mitarbeitende eine sarkastische als offene Kommunikation pflegen.

Implizite Signale sind wirkungsvolle Botschafter der Do’s und Don’ts.

Es sind häufig beiläufige, über Jahre eingeschlichene Entscheidungs- und Kommunikationsmuster, die unser subjektives Erleben prägen und erst durch sorgfältiges Beobachten zum „Wie & Wofür“ des Unternehmens führen. Von einschleichender Wirkung kann aber keine Rede sein, denn als implizite Signale haben sie eine unglaubliche Kraft und beeinflussen unser Erleben und Verhalten quasi im Verborgenen. Schon Kinder richten sich stark danach aus und erkennen sehr schnell, welche nicht ausgesprochenen Regeln tatsächlich gelten. Oder wieso sind Kinder so erfolgreich darin, herauszufinden, was wirklich gilt? Eine Fähigkeit, die nicht nur dem Individuum, sondern der ganzen Arterhaltung dient und sich daher wohl fest im menschlichen Wesen verankert hat.

Eine Regel wird dann erkannt, wenn sie ausbleibt oder verletzt wird.

Implizite Regeln und Signale können sich in den verschiedensten Varianten manifestieren: als unbewusste Einstellungen, nicht ausgesprochene Erwartungen, Beziehungsmuster oder auch in Gewohnheiten und Routinen („das war schon immer so“). Mitarbeitende orientieren sich daran und richten ihr Verhalten – bewusst oder unbewusst – danach aus. Besonders bei Veränderungsprozessen kann es daher hilfreich sein, Zugang zum Unbewussten der Organisation zu gestalten und diese handlungsleitenden, verborgenen Bewertungsstrukturen zu identifizieren, um damit einhergehende Chancen und Risiken zu erkennen.

Auch die Kontexte sind mannigfaltig, in welchen solche verborgenen Bewertungsstrukturen ihre Wirkung entfalten: in eher belangloseren Meetings wie auch in den Entscheidungsprämissen wichtiger Gremien, die sich über strategische Ziele, interne Anreizsysteme, Karrieremöglichkeiten oder Beförderungsrunden austauschen. Häufig werden implizite Regeln solange nicht bewusst wahrgenommen, bis sie von jemandem verletzt werden. Sei es, indem ein neues Kadermitglied die seit Jahren unveränderte Sitzordnung im monatlichen Finanzmeeting durchbricht oder am eigenen Geburtstag die Arbeitskollegen nicht zum traditionellen Cocktail einlädt. Durch die Verletzung wird das Implizite plötzlich offensichtlich.

Organisationsimplizite Normen und Werten aufzuspüren bedeutet, die Geschichten auch mal anders zu denken.

Gerade weil diese impliziten Regeln nicht explizit im Kommunikationssystem vorhanden sind und darüber nicht explizit entschieden wird, lohnt es sich aus systemischer Sicht, den Geschichten und Mythen, die im und über das Unternehmen erzählt werden, besondere Aufmerksamkeit zu widmen und sich zu fragen, wie die Geschichten allenfalls anders erzählt werden könnten. Allerdings sind der Sprache enge Grenzen gesetzt und daher sind ergänzende Verfahren wertvolle Vermittler des organisationalen Geschehens. Übers Beobachten, mittels Aufstellungen oder mit Assoziations- und Reiz aktivierenden Verfahren (Priming) kommen wir in unserer Beratungsarbeit den organisationsimpliziten Normen und Werten auf die Spur. Leitbilder und Geschichten können dabei durchaus sehr wertvolle Hinweise und Raum für eine Auseinandersetzung über die unvermeidlichen strukturellen Konflikte in Organisationen bieten und somit als Wegweiser zum Impliziten dienen – sofern eine besondere Sensibilität und Aufmerksamkeit auch auf das Unausgesprochene gelegt wird.

Welchen impliziten Regeln folgen Sie (nicht), welchen Regeln folgen Ihre Mitarbeitenden? Welche tatsächlichen Entscheidungs- und Kommunikationsmuster bestehen in Ihrer Organisation und wie wirken sie?

Lernen Sie mehr darüber, z.B. in unserer Leadership Journey: Führung systemisch gedacht in 3 x 3 Modulen!

Referenzen

Kahneman, D. (2011). Thinking, fast and slow. New York: Farrar, Straus and Giroux.

Mlodinow, L. (2012). Subliminal: How Your Unconscious Mind Rules Your Behavior. New York: Pantheon.

McNamara, T. P. (2005). Semantic priming: Perspectives from memory and word recognition. New York: Psychology Press.

Weber, G. (2000): Praxis der Organisationsaufstellungen. Grundlage, Prinzipien, Anwendungsbereiche. Heidelberg. Carl-Auer Verlag

Strack, F., & Deutsch, R. (2004): Reflective and impulsive determinants of social behavior. Personality and Social Psychology Review, 8(3), 220–247.

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