von Dr. Elisabeth Dalucas
Netzwerkpartnerin von brainability
Das Phänomen ist bekannt: erfolgreicher Familienunternehmer macht sich Gedanken über seine Nachfolge. Spätestens mit 70 – so sagt er sich und seinem Umfeld – ist Schluss. Er hat auch schon konkrete Massnahmen eingeleitet: ein familienexterner CEO wurde eingesetzt, das VR-Präsidium hat der Unternehmer schon an einen ihm vertrauenswürdig erscheinenden Bekannten abgegeben. Auch ist es ihm gelungen, wenigstens eines seiner Kinder zu überzeugen, Einsitz im Verwaltungsrat zu nehmen. Und schliesslich hat er noch einem jüngeren Verwandten eine Chance als Nachwuchs-Führungskraft gegeben.
Zu seinem Leidwesen stellt er allerdings fest, dass das Unternehmen seit einiger Zeit nicht mehr so gut läuft. Ein sich perpetuierender Teufelskreis hat begonnen, der vom Unternehmer selbst, seiner Art der Kommunikation und der damit verknüpften Erwartungshaltung ausgeht: Je mehr er von seinem Rückzug spricht, desto mehr werden Unternehmen, Familie und Miteigentümer, Mitarbeitende und Umfeld gelähmt. Alles wartet und verschiebt sämtliche Pläne auf danach. Je mehr aber nichts mehr geschieht, je weniger wird der Patron bereit sein, sein Unternehmen loszulassen – offensichtlich geht ohne ihn wirklich nichts.
Der Unternehmer baut damit unbewusst eine paradoxe Situation auf, die es seinem Umfeld schwermacht, überhaupt noch handlungsfähig zu bleiben. Mehr noch: selbst wenn der Erfolgsreiche sein Unternehmen an die nächste Generation weitergibt und sich effektiv zurückzieht, bleibt oft das bisherige Kommunikationsmuster erhalten. Entscheidungen richten sich nach dem Patron. Wenn dieser wegfällt, richtet sich das Unternehmen an den Mustern aus, die es bisher gekannt hat. Auch postpatriarchal wird nach dem Typus von ‚Der Chef hätte so entschieden‘ gehandelt. Es wird mehr vom Selben produziert, und die dringend notwendigen Erneuerungsschritte in einer globalisierten und digitalisierten Welt bleiben aus.
Offensichtlich ist, dass ein Unterschied nur gemacht werden kann, wenn tatsächlich Unterschiedliches zum Bisherigen geschieht (Bateson). Eine heroisch Führungsvorstellung ging von klaren Zielvorgaben und Entscheidungen des Patriarchen aus. Wenn aber aufgrund des aktuellen Transformationsgeschehens keine eindeutigen Voraussagen mehr geleistet werden können, dann kann Führung grundsätzlich nicht mehr als Eigenschaft einer Person verstanden werden. Führung muss sich als Dienst am System und damit als organisationale Fähigkeit verstehen, die dem Konzept eines entscheidungsverantwortlichen Unternehmensinhabers diametral entgegensteht.
Familienunternehmen sind komplexe soziale Systeme und daher heute ganz besonders gefordert: sie müssen nicht nur ihre Nachfolge regeln, sondern diese Regelung hat ganz anderen als den bisher bekannten und erfolgversprechenden Regeln zu folgen. Die neuen, Regeln sind eher transitiver Natur, die sich am konstruktiven Miteinander, am gemeinsamen Entwickeln von Zielen und immer wieder von Neuem auszuhandelnden Entscheidungen orientieren.
Die ultimative Herausforderung für Unternehmerfamilien bzw. Familienunternehmen wird dabei nicht nur mit Blick auf das Unternehmen sichtbar. Die Familienmitglieder sind aufgefordert, ihre Bedürfnisse und Wünsche, ihre Rollen und Werte mit Blick auf ihre eigene Lebensplanung, auf die Familie, die Eigentumsverhältnisse und das Unternehmen neu zu denken. Der Erfolg wird wesentlich davon abhängen, ob es trotz raschem Wandel gelingt, sach- und personenbezogene Rationalitäten zu balancieren, Partizipation im Unternehmen und ein partizipatives Miteinander in der Familie über Generationen hinweg zu gestalten. Die digitale Transformation erfasst nicht nur die Organisation, sondern eben auch die Familie, die gerade dabei ist, die ersten Digital Natives auf den Weg Richtung Unternehmen zu schicken.
Referenzen
- Baecker, Dirk (2003). Organisation und Management, Frankfurt aM: Suhrkamp.
- Baecker Dirk (2011). Organisation als System, Frankfurt aM: Suhrkamp.
- Bateson, Gregory (1981). Ökologie des Geistes, Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven, Frankfurt aM: Suhrkamp.
- Schlippe, Arist von & Groth, Torsten & Rüsen, Tom A. (2017). Die beiden Seiten der Unternehmerfamilie, Familienstrategie über Generationen, Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht.
- Simon, Fritz B. & Wimmer, Rudolf & Groth, Torsten (2005). Mehr Generationen-Familienunternehmen, Heidelberg: Auer.
- Wimmer, Rudolf (2012). Die neuere Systemtheorie und ihre Implikation für das Verständnis von Organisation, Führung und Management, in: Rüegg-Stürm, Johannes & Bieger, Thomas (Hg). Unternehmerisches Management, Bern: Haupt, 7-65.
- Wimmer, Rudolf & Domayer, E. & Oswald, M. & Vater, G. (2005). Familienunternehmen – Auslaufmodell oder Erfolgstyp? 2. Aufl., Wiesbaden: Gabler.