HIERARCHIE ABSCHAFFEN? Zur Relativierung von Management-Moden trotz Transformations-Dynamik

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von Dr. Elisabeth Dalucas
Netzwerkpartnerin von brainability

HIERARCHIE ABSCHAFFEN?

Zur Relativierung von Management-Moden trotz Transformations-Dynamik

Die aktuelle Dynamik der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformation scheint eine Bedingung für die Wandlungsfähigkeit von Unternehmen nahezulegen: Hierarchie braucht es nicht mehr! Ja, Hierarchie ist sogar kontraproduktiv, um den Wandel zu bewältigen.

Berater, HR Professionals und Führungskräfte lassen sich in Holacracy schulen, erfinden das Organisieren nach Laloux neu oder nutzen Scrum für das Projektmanagement. Während Holacracy-Begründer, Brian J. Robertson, von Revolution spricht, setzt der ehemalige McKinsey Berater, Frederic Laloux, auf Evolution. Die Scrum-Erfinder, Ken Schwaber und Jeff Sutherland, bevorzugen ihrerseits Agilität als Kennzeichen. Gemeinsam ist den Ansätzen der Anspruch auf Selbstorganisation und damit verbunden das Aufgeben klassischer Hierarchien. Damit treffen alle Autoren einen Nerv der Zeit: in einer globalisierten, digitalisierten und individualisierten Welt scheint Hierarchie in der Tat ein veraltetes Konzept darzustellen.

Nun hat Alfred Kieser in einem denkwürdigen Aufsatz von 1996 Die Moden und Mythen des Organisierens systematisch untersucht. Er selbst war mit damals modischen Schlagworten wie Lean Production, Business Process Reengineering oder Total Quality Management konfrontiert. Kieser erkennt einen Strauss von typischen Prinzipien wie Unausweichlichkeit, Zielgruppen-Werte, Katharsis für Manager, Mehrdeutigkeit, Mythenbildung, Namensgebung und Timing, die ein Management-Buch zu einem Bestseller werden lassen. Kieser’s Aufsatz ist aktueller denn je: sämtliche Prinzipien passen für alle oben erwähnten Moden.

Funktionalität von Hierarchie

Es sei hier weder gegen Holacracy, noch gegen Laloux oder Scrum argumentiert: die Fähigkeit, sich selbst zu organisieren ist wohl für jedes Individuum und auch für Unternehmen durchaus begehrenswert – und natürlich auch ein Mythos. Doch einem grundsätzlichen Missverständnis soll hier begegnet werden: Hierarchie ist nicht – wie von den genannten Autoren in der Unausweichlichkeit des notwendigen Wandels unterstellt – per se schlecht. Nein, Hierarchie ist sogar sehr funktional für das Organisieren.

Hierarchie dient dazu, die Interaktions-Notwendigkeit jeden Organisierens und damit Komplexität zu reduzieren. Sie tut dies, indem gewisse, vor allem Routine-Entscheidungen, nicht hinterfragt werden müssen. Oder möchten Sie jeden Tag nachfragen oder im Unternehmen aushandeln, wer einen Auftrag erteilt, Waren bestellt, die Spritze im Spital setzt, ja, wer das Telefon abnimmt? Hierarchie regelt den Kompetenz- und Entscheidungs-Spielraum und ist in diesem Sinne hoch funktional.

Darüber hinaus sind Hierarchien und hierarchische Beziehungen wertvolle, d.h. beobachtbare Informationsquellen einer systemischen Beratung. Als Konstrukte sind sie nämlich zunächst harte, erfahrbare Organisationswirklichkeit und können sprichwörtlich das abbilden, was in Organisationen abläuft.

Und Holacracy, Scrum & Co.? Im Grunde ist es ganz einfach: Hierarchie wird durch Regeln und Rollen ersetzt und diese können natürlich ebenso funktional sein. Sie sind es besonders, wenn sie neue Lösungen ausprobieren sowie nützliche Ideen und Techniken zurücklassen und – so Alfred Kieser – auch nach ihrem (unausweichlichen) Ende zum Wandel der Organisation beitragen.

Hierarchie als Interaktionsmuster zur Steuerung von Transformation

Ob Mode oder Hierarchie: dahinter steht wohl immer die Angst des Managements, dass sich die Komplexität des Organisierens als unbeherrschbar erweisen könnte (und es letztlich auch ist), so dass die Fähigkeit zur Steuerung verloren ginge, wie Werner Kirsch aus systemtheo­retischer Perspektive folgerichtig anmerkt. Entsprechend ist gegen Hierarchie verstanden als Interaktionsmuster zur Organisation des Organisierens nichts einzuwenden und zwar so lange, wie Kompetenzräume grundsätzlich verhandelbar bleiben. Hierarchie als Machtinstrument, das ist eine ganz andere Sache, die aber mit keiner Mode aus der Mode kommt – was übrigens auch für Moden als Machtinstrumente einer wissenden Insider-Gruppe gilt. Tröstlich bleiben am Ende Giacomo Leopardis Worte, der bereits 1824 schrieb: Die Mode ist die Schwester des Todes – beide sind sie geboren aus dem Geiste der Vergänglichkeit.

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Referenzen

  • Groth, Torsten (2017). 66 Gebote systemischen Denkens und Handelns in Management und Beratung, Heidelberg: Auer.
  • Kieser, Alfred (1996). Die Moden und Mythen des Organisierens, in: DBW, Die Betriebswirtschaft, 56, S. 21-39.
  • Kirsch, Werner (1992). Kommunikatives Handeln, Autopoiese, Rationalität. Sondierungen zu einer evolutionären Führungslehre, Herrsching: Kirsch.
  • Laloux, Frederic (2014). Reinventing Organizations, Brussels: Nelson Parker.
  • Leopardi, Giacomo (1972). Dialogo della Moda e della Morta, in ders.: Poesie e Prose, Milano: Hoepli, S. 346-349.
  • Robertson, Brian J. (2015). Holacracy – The Revolutionary Management System that Abolishes Hierarchy, New York: Penguin.
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